Winddichtigkeit - Falsches Baugutachten

Entstehen durch das Gutachtenergebnis Zweifel, Unsicherheit, Misstrauen, so muss das Gutachten hinterfragt werden. In der Regel wird dies durch die Partei erfolgen, die sich benachteiligt fühlt, aber nun vor der Schwierigkeit steht, die Mängel und Fehler des Gutachtens so darzustellen, dass dies von dem vorwiegend juristisch gebildeten Auftraggeber des Gutachtens, dem Gericht, nachvollzogen werden kann.

Dabei kann ich aufgrund meiner langen Erfahrung mit solchen Problemstellungen helfen und die entsprechende Gegenwehr und Problemlösung aufzeigen.

Mängel Winddichtigkeit des Steildaches

Der mittlerweile sehr häufig anzutreffende Dachschichtenaufbau eines Steildachs im Wohnungsbau sieht von außen nach innen so aus:
- Dachsteine, Dachziegel
- Dachlattung,
- Konterlattung = Lüftungsebene zum Abbau anfallender Feuchtigkeit
- Unterdeckbahn
- Sparren mit Zwischensparrendämmung
- Verkleidung mit Gipskarton-Bauplatten.

Wobei hier die Unterdeckbahn verschiedene Funktionen erfüllen soll.
Im Weiteren wird hier insbesondere ihre Funktion als „Windsperre“ bzw. als „Winddichtigkeitsschicht“ betrachtet. Insbesondere wird das in Beweisverfahren von Gerichtssachverständigen immer wieder vorgebrachte Argument, es gäbe hinsichtlich der Winddichtigkeit keine normative Forderung, näher untersucht.

Aufgrund der Regelwerke und der Fachliteratur kann „Winddichtheit“ wie folgt definiert werden:    
= das Maß der Luftdurchlässigkeit für Luftströme von außen nach innen
= Verhinderung des unkontrollierten Eintritts von kalten Luftströmungen (Wind)
= Widerstand gegen das Eintreten kalter Außenluft
= kalte Seite der Wärmedämmung
= äußere Gebäudehülle bei mehrschichtigen Konstruktionen = Systemgrenze

Ich stelle die Behauptung auf, die ich im Folgenden begründen werde:

Eine Unterdeckbahn muss einschließlich ihrer An- und Abschlüsse vollständig winddicht  sein. Das heißt:
Stöße, Überlappungen, Abschlüsse an Ortgängen und Traufen, Anschlüsse an angrenzende Bauteile und Durchdringungen müssen winddicht verklebt sein.


Seit Äonen sucht sich der Mensch in unseren Breitengraden durch seine Behausungen vor Kälte, Feuchtigkeit und Wind zu schützen. In den Regelwerken des modernen Bauens scheint auf den ersten Blick der Windschutz vernachlässigt zu werden.
Höhepunkt dieser zweifelhaften Anschauungsweise ist das „Merkblatt Wärmeschutz bei Dach und Wand“ im Regelwerk des DDH, Ausgabe September 2004,
1.2 – Begriffe:
(17) 
“Eine Winddichtigkeitsschicht ist auf der Außenseite angeordnet (z.B. Unterdeckbahn mit verklebten Nähten und Stößen) und mindert Luftströmungen von außen nach innen. Die Winddichtigkeit ist nicht genormt und damit keine grundsätzliche Forderung.“


Das heißt im Klartext, das Dachdeckerhandwerk lehnt die Erfolgshaftung für die Winddichtigkeit seiner Leistungen ab. Umgekehrt bedeutet dies, schadensträchtiges Bauen ist erlaubt.

Diese Argumentation, die sowohl von einigen Herstellern als auch von Gerichtsachverständigen regelmäßig übernommen wird, ist unter dem Aspekt des energiesparenden und schadensfreien Bauens paradox.

Ein funktionierender Wärmeschutz nach der Energieeinsparverordnung (EnEV) kann nur mit der Forderung und Ausführung einer wirksamen, möglichst absoluten Windsperre (Winddichtigkeit) garantiert werden:
Die heute zur Ausführung kommenden Außenwand- und Dachkonstruktionen bestehen aus mehreren Schichten, die als komplementäre Systeme zu betrachten sind, d.h. jede Schicht ist in ihrer Funktionsweise und –erfüllung von einer anderen Schicht abhängig. Es bestehen also zwischen den einzelnen Schichten wechselseitige Abhängigkeiten, wobei die das System abgrenzenden Schichten (die Systemgrenzen) oft mehrere Aufgaben gleichzeitig erfüllen müssen. Zum Beispiel soll die innere Systemgrenze (Innenhülle, die mit der Raumluft in Kontakt steht) das Einströmen warmer Raumluft und das Eindringen von Dampf in das Schichtensystem verhindern. Die äußere Systemgrenze (Außenhülle, die mit der Außenluft korrespondiert) soll gegen Regen und Wind schützen und gleichzeitig zur Austrocknung des Schichtensystems dienen.

Was kann geschehen, wenn die Funktion des Windschutzes entfällt?
Das Prinzip der Wärmedämmung beruht auf dem Einschluss von Luft in Hohlräumen des Dämmmaterials. Wenn die Wärmedämmschicht von Luft durchströmt wird, wird ihr Wärmedämmpotential entzogen, d.h. das Dämmmaterial verliert seine dämmende Wirkung, obwohl es ursprünglich rechnerisch richtig dimensioniert worden war.
Vor allen Dingen wird der Wärmedämmung ihrer zugedachten Wirkung beraubt, wenn die Außenluft zwischen Luftdichtheits-/Dampfsperre und Wärmedämmschicht durchströmen kann, was in der Praxis immer wieder beobachtet werden kann.
Handwerkliche Unzulänglichkeiten und Maßtoleranzen im Untergrund (z.B. unverputztes Ziegelmauerwerk usw.)  und bei angrenzenden Bauteilen (z.B. Sparren, Deckenbalken) führen im praktischen Ergebnis zu offenen Fugen, sprich Wärmebrücken, die sich schnell zu einem Schaden summieren, wenn noch eine unkontrollierte Durchströmung mit kalter Außenluft hinzukommt.
Wenn also eine wirksame Windsperre fehlt, bricht das ganze System zusammen.
Folge: Die für den Wärmeschutz und die Gesamtenergieeffizienz eines Gebäudes zugrunde gelegten Berechnungsverfahren stimmen  mit der Ausführung der Bauleistung vor Ort nicht überein.

Die Forderung nach der Winddichtigkeit ist systemlogisch begründet.

Somit müsste es eigentlich klar sein, dass für ein Schichtensystem mit Luftdichtheitssperre und Wärmedämmschicht der Einbau einer fugendichten Windsperre zwingend notwendig ist, denn diese kann ein Einströmen kalter Außenluft in die Wärmedämmschicht selbst und zwischen Dämmschicht und Luftdichtheitssperre wirksam einschränken bis verhindern. Ein äußerer Schutz vor Luftbewegung (Wind) schafft erst die Voraussetzung für die dämmende Wirkung einer Wärmedämmschicht und Kondensatfreiheit an der Luftdichtheitsschicht.

Eine nicht vollständig wirksame Windsperre ist ein wesentlicher Mangel!
Es nützt dem Dachdeckerhandwerks nichts, dass es mit dem Satz „Die Winddichtigkeit ist nicht genormt und damit keine grundsätzliche Forderung“ den Tatbestand des wesentlichen Mangels bei fehlender Winddichtheit für seine Klientel umgehen will. Die mit diesem Satz ausgedrückte Ablehnung steht nicht nur im Widerspruch zur Intention vieler Regelwerke. Sondern diese Behauptung ist einfach falsch, weil
- u.a. der Windschutz für den Menschen ein wesentliches - und eigentlich selbstverständliches – Ziel seiner baulichen Anstrengungen ist,
- die bauliche Energieeffizienz unberechenbar und zufällig wird, somit die EnEV ins Leere laufen würde,
- die Forderung nach Winddichtigkeit immer eine grundsätzliche Forderung an die Bauleistung (Dach und Fassade) ist. (Ist denn eine Vertragssoll über die Erstellung eines Wohnhauses ohne Winddichtigkeit überhaupt denkbar?).
- das Abhängigmachen einer Forderung von einer entsprechenden Normung völlig fehl geht, weil eine Normung eben nicht automatisch die „Allgemein Anerkannten Regeln der Bautechnik“ bestimmt. DIN-Normen sind Empfehlungen mit privatem Charakter (siehe auch BGH-Urteil). Die Winddichtigkeit braucht nicht separat genormt zu sein, um eine Forderung darzustellen.
- die Winddichtigkeit als wichtige Forderung für ein mangelfreies Werk systemlogisch in der EnEV (Rang eines Gesetzes) und der DIN 4108 (Rang einer Technischen Baubestimmung, LBO) mit inbegriffen quasi systemimmanent ist.
Was das Dachdeckerhandwerk mit diesem Satz erreicht, ist dies: Es unterminiert seinen Anspruch, dass sein Regelwerk als „Allgemein Anerkannte Regeln der Bautechnik“ gelten soll.

Dies wird von vielen sogenannten „Fachleuten“, obwohl es aus technischer Sicht logisch sein müsste, denn die Forderung nach Wärmeschutz und Energieeinsparung (siehe DIN 4108) geht davon aus. Das heißt, die Forderung der Winddichtigkeit der Außenhülle eines beheizten Baukörpers ist dahingehend systemimmanent.
Beanstandungen nicht winddicht verklebter Stöße, Überlappungen, Anschlüsse, offene Falten usw. werden von Gerichtsgutachtern mit verschiedenen Argumenten nicht anerkannt.
Das Hauptargument dieser Leute: die Winddichtigkeit sei keine normative Forderung. Das ist vollkommen falsch. Als systembedingter Bestandteil der Forderung nach Wärmeschutz und Energieeinsparung braucht es dies eben nicht!

Bei Beweisverfahren werden noch andere seltsame Argumente:
Eine nicht vollständige Winddichtigkeit sei schon in der Energiebedarfsberechnung berücksichtigt.
Oder bei der Beurteilung wird einfach davon ausgegangen, dass die Sparren und die Zwischensparrendämmung eine so gleichmäßige Ebene bildeten, dass offene Falten und Spalten im Überdeckungsbereich der Bahnen nicht möglich seien. Anscheinend haben diese Leute nie eine Baustelle bzw. den Ausführungsvorgang unter Baustellenbedingungen gesehen.
Oder eine zufällig entstandene größere Überdeckung, als z.B. vom Hersteller gefordert, wird einer Verklebung als gleichwertig behauptet. Und nicht winddichte An- und Abschlüsse werden bei dieser Argumentation überhaupt nicht zur Kenntnis genommen.
Pfuscher nutzen diese nachgeschobenen Behauptungen gerne zu ihrer Verteidigung.

Ungeklärt bleibt auch bei der hier kritisierten Auffassung, wie ein Bauleiter bei der Abnahme kontrollieren soll, ob der berechnete und vereinbarte Wärmeschutz (= Werkerfolg) eingetreten ist oder nicht.

Folge der unterlassenen Verklebung der Nähte und Anschlüsse in der Praxis: Schimmelpilzerscheinungen innerhalb des Dachschichtenaufbaus.

Im Übrigen haben Hersteller der Unterdeckbahnen dieses Problem durchaus erkannt und bieten nicht ohne Grund seit vielen Jahren Bahnen mit Kleberändern an. Nach ihren Aussagen kann eine Verklebung der Ränder den Heizwärmebedarf bis zu 9 % reduzieren.
Aber auch hier unterliegt so mancher Hersteller dem Irrtum, die winddichte Verklebung sei nur eine Empfehlung und müsse entsprechend vereinbart sein. Anscheinend geht so manche Sachverständigenmeinung auf diesen Irrtum zurück.

Der gleiche Hersteller, der dem vorgenannten Irrtum nachhängt, schreibt im Jahre 2008:
„Mit Hilfe einer winddicht verklebten Unterdeckung wird das Einströmen kalter Außenluft in die Dachkonstruktion und somit das Auskühlen der Wärmedämmung vermieden. Insbesondere im Bereich von Fugen in der Wärmedämmung über die kalte Luft bis zur Luft- und Dampfsperre vordringen kann, wird hier den Ausschluss von Luftströmungen eine höhere Sicherheit vor Tauwasserproblemen erzielt.“
Dies ist richtig und steht somit im Widerspruch zu seiner vorgenannten Meinung. Umgekehrt könnte man diese Meinung auch so interpretieren: schadensfreies Bauen sei in diesem Bereich nur eine Empfehlung.

Nochmals:
Die Winddichtigkeit eines Daches als Teil der äußeren Gebäudehülle muss im selben absoluten Sinne angestrebt werden wie die Luftdichtheit der inneren Gebäudehülle. Alles andere wäre systemwidrig, d.h. ein Verstoß gegen den Kontext des Wärmeschutzes und der Energieeinsparung. Sowohl die DIN 4108 (Technische Baubestimmung) und die Energieeinsparverordnung und deren Weiterentwicklungen gelten immer, sind nicht abdingbar, somit müssen deren Forderungen nicht ausdrücklich vertraglich vereinbart werden.

Somit ist meine eingangs aufgestellte Behauptung begründet:
Eine Unterdeckbahn muss einschließlich ihrer An- und Abschlüsse vollständig winddicht  sein. Das heißt:
Stöße, Überlappungen, Abschlüsse an Ortgängen und Traufen, Anschlüsse an angrenzende Bauteile und Durchdringungen müssen winddicht verklebt sein.


Aus meiner Erfahrung kann ich noch hinzufügen, dass der Wind oft bis zur Luftsperre (meist eine PE-Folie) eindringt und diese so zum Rascheln bringt, dass die Bewohner behaupten, sie hätten Mäuse im Dach.

Andere Aspekte werden bei dieser unnötigen Streitfrage selten berücksichtigt, wie Holz- und Insektenschutz.

Welchem Anforderungsprofil sollte eine Windsperre genügen?
- Sie soll verhindern, dass das Außenbauteil in seiner geplanten und berechneten energetischen Funktionsweise durch einströmende, zirkulierende kalte Luft oder witterungsbedingte Feuchtigkeit gestört wird oder vielleicht sogar ganz ausfällt.
- Regendichtigkeit und Dampfdiffusionsoffenheit, d.h. eine Austrocknung der Konstruktion nach außen muss trotzdem möglich sein und bleiben.
- Hohe mechanische Belastbarkeit, dauerhafte Lagestabilität, glatte Oberfläche.
- Schwer entflammbar, hohe UV-Stabilität, Temperaturbereich von -20 bis + 80°C, alterungsbeständig.
- Verlegung: faltenfreie, winddichte Verklebung von Nähten, Stößen, Anschlussfugen an angrenzende Bauteile, Durchdringungen  usw.

 

 

PETER  KLENK                                 

Ingenieurbüro für Bauanalysen              
Ingenieur (grad.) Fachbereich Architektur 
Wirtschaftsingenieur (grad.)  
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Stand 19.07.2022