Alle Beteiligten, die zu einem Beweisverfahren beitragen, müssen sich der Arbeits- und Denkmethodik des Gerichts unterordnen!
Auf der Grundlage dieser These gebe ich folgende Hinweise:
Es müsste die vornehmste Aufgabe eines Gerichtssachverständigen sein, mit seinem Gutachten die bautechnische und juristische Sicht- und Denkweise zur Synergie zu bringen. (Diese Aufgabe stellt
sich auch dem Privatsachverständigen, wenn sein Gutachten Teil des Parteivortrags werden soll.)
Ein Gutachten, das alle Beweisfragen vollständig beantwortet, dessen Methodik und Argumentation nachprüf- und nachvollziehbar ist und klare Anknüpfungspunkte für die juristische Bewertung und
letztlich für die (aus technischer Sicht) richtige gerichtliche Entscheidung bietet, dürfte nicht nur der anzustrebende Idealfall sein, sondern auch der Prozessökonomie dienen.
Das Gericht (juristische Sichtweise) bestellt ein Gutachten. Das Gutachten soll Streitfragen beantworten. Das Gutachten ist also das Kommunikationsmittel zwischen Richter und Bausachverständigen.
Diese Kommunikation ist erfolgreich, wenn durch den Informationstransfer Bedeutung und Sinn so erschlossen werden können, dass daraus Verstehen und Überzeugung entstehen. Das heißt, der Richter
muss durch sein Lernen (erworbenes Verständnis) zur Überzeugung gelangen, dass die Aussagen, Schlussfolgerungen und Ergebnisse des Gutachtens richtig und für seine Urteilsfindung brauchbar
sind.
Da die Kommunikationsrichtung vom Sachverständigen zum Gericht verläuft, ist es natürlich, dass der Sachverständige derjenige ist, der seine Gutachtenarbeit so ausrichten und darstellen muss,
dass sie von seinem Auftraggeber, dem Gericht, verstanden und verwertet werden kann. Das ist der eigentliche Sinn und Zweck der Beauftragung des Sachverständigen. Dies hört sich einfach und
logisch an, aber funktioniert in der Praxis viel zu selten.
Daher ist oft die Meinung zu hören, dies läge an den grundsätzlich verschiedenen Denkweisen (Denkwelten). Dies sei die Quelle für die „ewigen“ Missverständnisse, die zu ungeschickten
Formulierungen der Beweisfragen, zu falschen Gutachten und ihrem Gefolge zu erzwungenen Vergleichen oder falschen Urteilen führten. Wird dieser Meinung gefolgt, dann wird das gerichtliche
Beweisverfahren diskreditiert und zu einem reinen Glücksspiel degradiert.
Meine Analysen und Erfahrungen zeigen etwas Anderes: Es fehlt hauptsächlich und grundsätzlich am Interesse für die Denkweise der jeweils anderen Seite. Insbesondere lässt das Desinteresse des
Sachverständigen an der juristischen Systemlogik, das sich in der offensichtlichen Unkenntnis über seine Rolle und Funktion im Beweisverfahren manifestiert, ihn zum neuralgischen Punkt werden, an
dem das System des Sachverständigenbeweises der Zivilprozessordnung fast regelmäßig zusammenbricht. Es fehlt zu oft am ernsthaften Bemühen und am Verständnis des gerichtlich beauftragten
Sachverständigen, seinen Auftrag gemäß dessen Intention zu erfüllen. Manche sind besonders "schlau": Sie erklären in ihren Gutachten Beweisfragen, die ihnen nicht genehm sind, kurzerhand zu
Rechtsfragen, die sie nicht beantworten könnten. Oder sie machen z.B. Mängelbeseitigungsmaßnahmen von einer weiteren "juristischen Bewertung" abhängig und verweigern sich so der Erfüllung eines
wesentlichen Teils des Beweisbeschlusses bzw. ihrer Beauftragung.
Solche Sachverständige sind schlicht und einfach nicht verfahrenstauglich.
Daher stelle ich einen system-logischen Lösungsansatz vor, einen Weg zur Selbsthilfe, der zur Verfahrenstauglichkeit führt.
Ziel:
Angleichung der technischen Darstellungsmethodik an die juristische Arbeits- und Denkmethodik.
Bei meinen Überlegungen zu dieser Zielformulierung komme ich zu der These, dass es eigentlich keine unterschiedlichen Denkmethoden geben kann. Wissenschaftliches Denken ist durch die Gesetze der
Grammatik und der Logik bedingt.
Die Durchsetzung des Anspruchs vor Gericht ist das Ziel, der Richter ist der Entscheider. Somit hat sich alles seiner Methodik zu unterwerfen = Systemlogik = meine These.
Es ergibt sich folgenden Gedankenkette:
Ziel der Klage = begehrte Rechtsfolge → Tatbestand = juristische Anspruchsnorm → bautechnische
Soll-Beschaffenheit → Beweisthema = Beweisfrage. (und zurück ←)
Verknüpfungsstelle ist somit die juristische Anspruchsnorm → (←) bautechnische
Soll-Beschaffenheit.
Wobei aus technischer Sicht die bautechnische Soll-Beschaffenheit als „bautechnische Anspruchsnorm“ angesehen werden kann.
Die Beweisaufnahme wird durch den Streitstand bestimmt, der vom Gericht auf der Grundlage des schlüssigen Klägervorbringens und dem erheblichen Bestreiten des Beklagten zum Beweisthema erhoben
wird. Der Streitstand kommt in der Formulierung eines Beweisthemas (Beweisfrage) zur Prüfung.
Im Streitstand der Tatsachenbehauptungen von Baumängeln in Bauprozessen wird für die Fortführung der richterlichen Schlüssigkeitsprüfung = juristische Subsumtionsarbeit zuvor eine „bautechnische
Schlüssigkeitsprüfung = technische Subsumtionsarbeit“ notwendig.
Mit dieser bautechnischen Subsumtionsarbeit wird gemäß Beweisbeschluss regelmäßig ein Sachverständiger beauftragt.
Somit muss die bautechnische Subsumtion systemgemäß eine Fortführung der richterlichen Schlüssigkeitsmethodik → Subsumtion → Syllogismus sein.
Diese Systemlogik zwingt den Sachverständigen, sein Vorgehen und die Darstellung seines Entscheidungsweges im Gutachten dieser Methodik anzupassen, damit seine Arbeit für den Richter nachprüfbar
und verwertbar wird.
Folglich ergibt sich zwingend für den Sachverständigen folgender Gutachtenstil unter Anwendung der deduktiven Methode des Syllogismus:
Vergleich der Anspruchsgrundlagen
= vertragliche Vereinbarungen und/oder
allgemein anerkannte Regeln der Bautechnik
= Soll-Zustand oder Soll-Beschaffenheit
= technische Anspruchsnorm
= technischer Tatbestand als Grundlage für die
Erfüllung des Tatbestandes der Rechtsnorm,
die eine Rechtsfolge auslöst.
= Obersatz
mit der Tatsachenbehauptung
= Mangelbehauptung = Beanstandung
= Ist-Zustand
= Beweisthema = Beweisfrage
= Formulierung des konkreten Sachverhalts
= Untersatz.
Dabei sind diese Anspruchsgrundlagen auch dahingehend zu prüfen,
ob es
- Ausnahmen von der technischen Regel gibt,
und wenn ja, ob eine dieser Ausnahmen im zu
beurteilenden Fall zur Anwendung kommen kann;
- Gegennormen gibt, und wenn ja, ob eine
dieser Gegennormen im zu beurteilenden Fall
greifen kann;
- Ausnahmen von den Gegennormen gibt, die
deren Erheblichkeit wiederum ausschließen.
Dieser Soll-Ist-Vergleich ist der Weg zum bewertenden Schlusssatz
= zur Klärung der Frage, ob der Tatbestand sich
mit der Tatsachenbehauptung deckt oder nicht.
Hier enden Auftrag und Arbeit des Sachverständigen
= Ziel aus technischer Sicht.
= Anknüpfungspunkt zur Klärung der Frage, ob
sich der Tatbestand der Rechtsnorm erfüllt und
die begehrte Rechtsfolge auslöst
= Ziel aus juristischer Sicht.
Dieser bewertende Schlusssatz (Konklusion) als Ergebnis der Beantwortung der Beweisfrage ist in den meisten Gutachten der neuralgische Punkt. Er führt in zu vielen Gutachten eben nicht zur
unzweifelhaften Klärung der Beweisfrage. Die immer wieder zu lesende Ausdrücke, wie „aus sachverständiger Sicht“ oder „sachverständigenseits“ o.Ä., sind vollkommen sinnlos, weil nicht
systemgerecht, wenn darauf keine nachvollzieh- und nachprüfbare Begründung folgt, die durch die Verfahrensbeteiligte und durch unbeteiligte Dritte verifiziert werden kann.
Dieser Lösungsansatz führt zu folgenden Konsequenzen:
-
Der beauftragte Sachverständige muss die Methode des Syllogismus verstehen, beherrschen und als Notwendigkeit für das nachvollziehbare Ergebnis seiner Gutachtenarbeit ansehen und befolgen=
Verfahrenstauglichkeit.
-
Das Gericht als Auftraggeber muss selbst dafür sorgen und auch kontrollieren, ob der ins Auge gefasste Sachverständige dies überhaupt leisten kann, also in diesem Sinne verfahrenstauglich
ist, denn die stempelvergebenden und listenführenden Institutionen versprechen dies zwar, erfüllen es aber offensichtlich nicht.
-
Die Qualität der Formulierung der Beweisfrage ist von entscheidender Bedeutung. Die Formulierung muss die deduktive Methode des Syllogismus schon in sich tragen, um einerseits dem
Sachverständigen den Weg vorzuzeichnen, andererseits den angestrebten Schlusssatz, die sachverständige Beurteilung, nachprüfbar und nachvollziehbar zu halten.
-
Das Gericht darf einer Meinung des Sachverständigen nicht folgen, wenn diese im Rahmen der syllogistischen Methode nicht nachprüfbar bzw. nicht subsumierbar ist. Es muss hier den gleichen Maßstab
anlegen wie bei seiner Schlüssigkeitsprüfung der Kläger- und Beklagtenbehauptungen.
-
Die Gliederung auf der Grundlage eines syllogistischen Soll-Ist-Vergleichs bietet so die optimale Möglichkeit der Kontrolle der Gutachtenarbeit des Sachverständigen. Das heißt, die
Gutachtenarbeit muss den Anforderungen der Schlüssigkeitsprüfung entsprechen. Also, der deduktiven Methode des Syllogismus = der juristischen Subsumtion.
-
Dem Gutachten muss entnommen werden können, dass der Sachverständige mittels der Methode des Syllogismus zu seinem Ergebnis kommt. Dann ist seine Arbeit nachprüf- und nachvollziehbar
und glaubhaft in dem Sinne: es verbleiben keine begründeten Zweifel, es spricht eine hohe Wahrscheinlichkeit dafür, dass es so ist, wie der Sachverständige bewertet.
-
Ist die Gutachtenarbeit nicht auf diesem System aufgebaut, erübrigt sich bereits jede Prüfung des technischen Inhalts. Sie ist schon aus formal-logischen Gründen wertlos. Denn die Kriterien der
Nachprüfbar- und Nachvollziehbarkeit sind als systemimmanente Bestandteile unverzichtbar.
Diese formal-logische Prüfung müsste der juristisch gebildeten Person auch dann möglich sein, wenn sie bautechnischer Laie ist.
Die deduktive Methode des Syllogismus ist das gemeinsame Fundament sowohl der juristischen als auch der technischen Sicht- und Denkweise, somit kann ich als Ergebnis den systemlogischen Leitsatz
aufstellen:
Alle Beteiligten, die zu einem Beweisverfahren beitragen, müssen sich der Arbeits- und Denkmethodik des Gerichts unterordnen!
Dies gilt ebenso für den Privatgutachter, sofern involviert, und für den Anwalt der beweisbelasteten Partei bis hin zum Gerichts-Sachverständigen.
Die Anwendung der deduktiven Methode des Syllogismus im Beweisverfahren kann auch als wissenschaftlich in dem Sinne angesehen werden, dass Dritte das Beweisergebnis jederzeit nachvollziehen und
verifizieren können = die höchste dem Menschen zugängliche Objektivität.
Betrachte ich meine Analyseergebnisse zu gerichtlich beauftragten Gutachten der letzten 19 Jahren: die Kluft könnte nicht größer sein.
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PETER KLENK
Ingenieur (grad.) Fachbereich Architektur
Wirtschaftsingenieur (grad.)
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Stand 16. Mai 2020